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Die Entstehung von Shitstorms – Eine Analyse

Dezember 6, 2012

Foren sind ein lebensfeindlicher Ort geworden. Überall wird geflamed, gemeckert, geschrien, geheult und sich beschwert. Meinungen prallen aufeinander, ohne in einem Dialog aufgelöst zu werden. Wenn man sich die Foren einiger Spiele durchliest, kann man gerne nicht anders, als das Spiel für das schlechteste Produkt zu halten, das je das Licht des Monitors erblickt hat. Ist die Gamercommunity wirklich zu einem Haufen ignoranter Vollhonks mutiert, die nur noch ihre eigene Meinung gelten lassen? Ich habe mir dazu mal ein paar Gedanken gemacht.

Zu viel Power ist unser Feind

Ich denke, der häufigste Fehler, der beim Verfassen von kritischen Posts gemacht wird, sind Reizwörter. Und ich rede jetzt nicht von den üblichen Reizwörtern wie „Problem“, oder „nicht können“, also der Sorte Reizwörter, die jeder Mitarbeiter einer Telefonhotline akribisch zu vermeiden sucht (danke an dieser Stelle nochmal an den Kundendienst von eBay. Von einer „Technischen Herausforderung“ zu sprechen, weil das Wort „Problem“ vermieden werden sollte just made my day!).Nein, ich spreche von stark abwertenden Reizwörtern wie „lächerlich“ „erschreckend“ „unzumutbar“, und was einem sonst noch so gewichtiges einfällt. Klar, eine stark gewichtende Wortwahl unterstreicht sehr schön die eigene Meinung, aber es kann doch sehr leicht passieren, dass man einfach über sein Ziel hinaus schießt.

Denn mit diesen Reizwörtern verhält es sich in diesen Fällen wie mit der Physik: Actio<=>Reactio. Ein stark polendes Wort polt den Leser ebenso stark und er wird seine Position genau so inbrünstig vertreten, sei es nun in die gleiche Richtung oder in die Gegenrichtung. In beiden Fällen schaukelt sich das dann hoch und schon ist der ausgewachsene Streit/Shitstorm geboren. Man sollte vermeiden, in Posts zu absolute Formulierungen zu verwenden. Schließlich spielt hier auch die Rezeption eine Rolle. Der Leser kann nicht sehen oder hören, wie der Autor eines Posts in dem Moment, in dem er seinen Beitrag verfasst, drauf ist. Auch wenn ein Post eigentlich sachlich gemeint ist, verleiten zu absolute Formulierungen dazu, starke Emotionen wie Wut in einen solchen Beitrag hineinzuinterpretieren, was beim Leser wiederum eine stark emotionale Gegenreaktion hervorrufen wird.

Wir müssen hierbei immer bedenken, dass unser armes Hirn für direkte Kommunikation gemacht ist, schließlich war das Internet noch nicht erfunden, als wir Menschen uns gedacht haben, dass uns das Affendasein auf Dauer zu langweilig wird und mal was intelligenteres ausprobieren wollten. Das Hirn des Lesers wird also versuchen, einen geschriebenen Beitrag nach den Regeln direkter Kommunikation zu interpretieren, was leicht schief geht, wenn ein Beitrag zu stark wertend formuliert ist. Sehen wir uns das einmal an einem Beispiel an:

„Der Umgang mit der Community in den letzten Wochen war einfach lächerlich. Es ist unzumutbar, dass da nicht was gemacht wird! Wie diese Leute mit den Spielern umgehen ist einfach erschreckend“

Na, klingt doch schön wütend, oder? Aber was, wenn ich jetzt gar nicht wütend war? Ich wollte nur auf einen Missstand bezüglich der Kommunikation zwischen Spieler und Entwickler hinweisen, und ich wollte ausdrücken, dass mich dieser Missstand ärgert. Dazu ist das Forum ja da. Außerdem sollte man doch wohl ein bisschen Kritik vertragen können, oder?

Ja, sollte man. Und die Meisten von uns tun das auch. Aber beachtet den Unterschied, wenn ich schreibe:

„Also ich finde, die Entwickler könnten mal wieder was von sich hören lassen. Ich finde es immer gut, wenn man von den Devs selbst auf dem Laufenden gehalten wird und es ärgert mich schon, dass ich nicht weiss, was noch so an Patches geplant ist.“

Hui, da ist das Feuer raus, wa?

Sicher, das Beispiel ist jetzt ein extrem weichgespültes, aber es ist ja wie gesagt ein Beispiel. Nehmen wir uns mal ein anderes Negativbeispiel zum Thema absolute Wortwahl vor:

„Das sagen alle!“

Rekapitulieren wir einmal die Reaktion des Lesers auf diese Aussage: „Jaja, klar, ‚alle‘. Du und deine drei Freunde?“. Der Verfasser wollte eigentlich hervorheben, dass er der Ansicht ist, mit seiner Meinung nicht alleine dazustehen, hat sein Ziel aber verfehlt. Stattdessen hat er seinen Post damit entkräftet. Hätte er hier eine Formulierung wie „und ich glaube, damit bin ich nicht allein“ gewählt, hätte die Sache ganz anders ausgesehen.

Eine absolute Meinung hat den blöden Nebeneffekt, dass sie keine Gegendarstellung zulassen kann, ohne sich selbst aufzugeben. Beispiel Religion: eine Religion, die den Anspruch erhebt, die einzig Wahre zu sein, muss Kreuzzüge führen, weil die bloße Existenz einer anderen Religion den eigenen Anspruch widerlegt. Also haben die Christen vor Jahrhunderten die armen Muslime niedergemetzelt, und extreme Muslime bomben jetzt sich selbst und alle anderen in Stücke, weil alle „Ungläubigen“ vom Erdboden verschwinden müssen. Sonst wäre die eigene Position ja hinfällig.
Genau das passiert auch in Foren: Wenn ich allein durch meine Formulierung eine Gegendarstellung ausschließe, dann werden alle, die anderer Meinung sind, das auch tun. Schnallt eurem Avatar also schonmal nen Sprengstoffgürtel um, wir bomben das Forum in Stücke!

Wir sollten vermeiden, unseren Beiträgen zu viel Pfeffer zu geben, damit eine Diskussion entstehen kann, statt einem verbalen Schlagabtausch.

Ich bin doch nur ehrlich

Ein Satz, der gerne verwendet wird, wenn es um den Tonfall einer Kritikäußerung geht. Wozu würde das denn führen, wenn man nichtmal seine eigene Meinung sagen kann? Wenn jemand keine Kritik verträgt, sollte er sich besser mal ein dickeres Fell zulegen!

Der zentrale Fehler in dieser Aussage ist das Verwechseln von „Ehrlichkeit“ und „Schonungslosigkeit“. Man kann ehrlich seine Meinung sagen und man kann schonungslos seine Meinung sagen. Ich nenne das eine im Folgenden „Soziale Wahrheit“ und das andere „Schonungslose Wahrheit“.

Führen wir uns auch hierzu ein Beispiel zu Gemüte. Wir stellen uns einmal vor, wir haben ein Geburtstagsgeschenk erhalten, das uns nun beim besten Willen nicht gefällt, und finden, dass wir unser Gegenüber nicht anlügen sollten, was die Freude über dieses Geschenk betrifft. Die soziale Wahrheit wäre jetzt etwas wie „Ich muss zugeben, es gefällt mir nicht so gut wie dein Geschenk letztes Jahr“, die schonungslose Wahrheit wäre: „Ich find‘ dein Geschenk scheiße!“ Der Schenkende, der sich zwar angestrengt, aber einfach ein falsches Geschenk erwischt hat, wäre nach Beispiel 1 wesentlich weniger vor den Kopf gestoßen, als mit Beispiel 2.
Die schonungslose Wahrheit auszupacken ist also weniger ein Zeichen von Ehrlichkeit und vielmehr ein Zeichen von Taktlosigkeit. „Die Wahrheit sagen“ heißt nicht, dass man sozialen Umgang außer Acht lassen kann. In der direkten Kommunikation zwischen zwei Menschen mag das ja noch funktionieren, weil das Gegenüber Dinge wie leichte Untertöne etc. wahrnehmen kann.
Aber das funktioniert nunmal nicht, wenn das einzige Medium der Kommunikation das geschriebene Wort ist. Ein leichtes lächeln im Unterton kann das geschriebene Wort nicht transportieren, weshalb schonungslose Wahrheit nicht als direkt wahrgenommen wird, sondern als beleidigend.

Achten wir also alle selbst darauf, dass wir Äußerungen im Internet also immer so formulieren, dass sie auch so wahrgenommen werden können, wie sie gemeint sind. Wir können mit der Hilfe von Smilies entsprechende Mimik anzeigen, oder unseren Ton entschärfen, aber direkt frei heraus sagen, wie „scheiße“ man etwas findet, wird genau das Gegenteil dessen bewirken, was man wollte:

Ein Beitrag, der schonungslos formuliert wird, wird eine Gegenreaktion hervorrufen, er wird dafür sorgen, dass man nicht ernst genommen wird. Er wird dafür sorgen, dass der eigene Beitrag bis ins letzte Detail und bis zur Wortklauberei zerpflückt werden wird. Wenn wir Kritik äußern wollen, oder einen Vorposter widerlegen wollen, dann sollten wir diplomatisch vorgehen, statt einfach mit einen schonungslos direkten Einzeiler um uns zu schießen.

Wenn ich finde, mein Vorposter schreibt Aussagen, die ich schlicht für falsch halte, dann ist es der Sache in keiner Weise dienlich, ihm das mit einem einfachen „Falsch!“ zu sagen. Sagen wir lieber „Ich bin anderer Meinung“. Das drückt den Autor des Posts, der widerlegt werden sollte, nicht in die Position, sich zu rechtfertigen, weil er sonst seine Integrität verlieren würde. Würden wir seine Integrität gefährden, indem wir geradeaus sagen, dass er Schachsinn redet, würden wir den Vorposter zu einem Gegenangriff zwingen und am Ende artet das dann zu einem simplen „Aber ja“ – „Aber nein“ aus. Keine sehr fruchtbare Diskussion.

Interneteier

Ich beziehe mich mit dem Ausdruck „Interneteier“ auf eine Folge der Serie „Two and a Half Men“. Der Ausdruck meint, dass wir im Internet auf einmal einen Schneid entwickeln, den wir in der direkten Kommunikation nicht hätten, weil wir das Gegenüber nicht persönlich vor uns haben. Das ist ein oft zu beobachtendes Phänomen. Es gibt dazu eigentlich nicht mehr viel zu sagen, ausser: Wir dürfen immer nur das veröffentlichen, was wir jemandem auch ins Gesicht sagen würden.

Fazit

Im Internet genießen wir eine wunderbare Anonymität. Wir können schön unsere Wut abladen, ganz einfach alles von uns geben, was wir wollen, und so weiter. Aber am anderen Ende sitzen echte Menschen, und die haben echte Emotionen. Und: ein einziger Satz, der unter Umständen nur für eine Person gedacht war, kann von sehr vielen Personen gelesen und entsprechend anders verstanden werden. Wir müssen also immer darauf achten, dass wir alles so formulieren, wie es auch ankommen soll.

Oft merkt man eine verfehlte Wortwahl direkt, wenn man nach dem Verfassen nochmal kurz innehält und dann den Post nochmal liest.

Und das ist wirklich nicht zu viel verlangt.

From → Das Internet

One Comment
  1. razze89 permalink

    Danke für deine wirklich sehr intensive Analyse , diese ist genau auf den Punkt gebracht. Es gibt also doch noch intelligentes Volk unter den Lesern der Gamestar 😉 Viele Grüße.

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